Samer Al Najjar. Mit Ihrem neuen Roman behandeln Sie höchst aktuelle Fragen rund um die Syrienkrise. Welche Perspektiven verfolgt der Protagonist, Adam, in Ihrer Erzählung?
In meinem Roman geht es um einen jungen Mann, der in Damaskus geboren wurde. Er wächst im Hause seines Onkels auf, wo er ständig emotionale Misshandlung und Schikane erfährt. Nachdem ich von der Kindheit des Protagonisten erzählt habe, zeige ich, wie er sich mit dem Ausbruch der syrischen Revolution 2011 verändert. Er engagiert sich für Demokratie und Freiheitsrechte und nimmt an friedlichen Protesten teil.
Der Traum an ein freies Syrien treibt den jungen Adam an. Wie definieren Sie diesen Traum für sich?
Ich träume jeden Tag von einem freien, demokratischen Syrien, das von seiner eigenen Bevölkerung geliebt wird, wie sie sich selbst liebt. Ein tyrannisches, ungerechtes Syrien kann niemals meine Heimat sein. Im Gegenteil, ich hasse die heutige Situation sogar sehr.
Sie wanderten im Jahr 2014 selbst aus Syrien nach Deutschland ein. Wie bewahren Sie Ihre Kindheit und Jugend in Syrien in Ihrem Gedächtnis?
Ich erlebte eine typische Kindheit in Syrien. Man hat uns in der Schule terrorisiert. Man versuchte ständig, die Kinder zu Soldaten zu machen. Wir fanden es in Ordnung, da wir auch nichts anderes kannten.
Sie thematisieren in Ihrem Roman auch posttraumatische Belastungen als Folge der Kriegserlebnisse.
Ja genau. Mein Roman konzentriert sich auf die Entwicklung des Protagonisten, darauf, wie sich die Verlust- und Gewalterfahrungen seiner Kindheit auf den jungen Erwachsenen auswirken, wie die Gewalt einer Diktatur, die Lebensgefahren des Krieges und der Flucht seine psychische Gesundheit beeinträchtigen, die er intuitiv zu bewahren versucht. Mein Ziel ist es, Licht auf diese oft in den Hintergrund gedrängte, dunkle Seite von Kriegsüberlebenden und geflüchteten Menschen zu werfen. Die Posttraumatische Belastungsstörung ist unter ihnen ein weit verbreitetes Phänomen, das ich selbst mehrfach beobachten konnte. Es wird jedoch sehr selten angesprochen, auch die Geflüchteten selbst vermeiden es, ihre PTBS-Symptome zu thematisieren.
Welche Reaktion wünschen Sie, beim Leser des Romans auszulösen?
Kritik und Nachdenken. Ich wollte in meinem Text die härtesten Tatsachen der Menschheit ansprechen. Meine Absicht war, ein Buch zu schreiben, das für mehr Diskussion und mehr Gespräch unter den Menschen sorgt.
Adam gelangt nach Wien, wo der Traum auf ein freies Syrien plötzlich wieder greifbar wird. Wie kommt es zu dieser Wende?
Adam gelingt es nicht, sich von diesem Traum zu lösen, weil sein Leben vor der Revolution sinnlos war. Er kann für sein eigenes Leben ohne seinen Traum keine Bedeutung sehen. Schafft es doch die Liebe? Das ist die Frage.
Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im Februar 2023.