Dem Autor und Brasilienkenner Dirk Hegmanns gelingt mit dem Roman "Der Bandit" ein authentisches und faszinierendes Bild von Brasilien in einer Zeit, die den Beginn großer Umwälzungen in der Gesellschaft des Landes markiert.
In einem Gespräch mit dem Verleger nahm der Autor Stellung zur Bedeutung, die dieses Thema in der modernen Welt einnimmt.
Autoreninterview mit Dirk Hegmanns
Mit Ihrem neuen Buch „Der Bandit“ thematisieren Sie gesellschaftliche Konflikte, die zwischen Großgrundbesitzern und Kleinbauern im Nordosten Brasiliens um 1900 ausgetragen wurden. Kann man von einem „Pulverfass“ sprechen, das Nordostbrasilien zu der Zeit darstellte?
Der Nordosten Brasiliens wird oft als das „Armenhaus Lateinamerikas“ bezeichnet, und Konflikte unterschiedlicher Art prägen die Geschichte dieser Region. Vor allem die starke Konzentration des Landbesitzes in den Händen von Wenigen provozierte Anfang des 20. Jahrhunderts geradezu ein Aufbegehren der Landlosen und Kleinbauern. Lampião wurde hier zum berühmtesten Streiter gegen Unrecht und Willkür der Grundherren.
Welche Rolle kam dem historischen Lampião bei der Gründung der brasilianischen sozialen Bewegungen zu?
Lampião kann zweifellos als ein Vorläufer der Bauernbewegungen betrachtet werden, die kurz nach seinem Tod entstanden. Fast alle berufen sich auf ihn, trotz der Ambivalenz, die seine Figur verkörpert. Zwar hat er über viele Jahre sozusagen von den Reichen genommen, um es den Armen zu geben, doch wurde er später zu einem Kriminellen, der auch vor Mord nicht zurückschreckte. Im Roman wird diese Ambivalenz auch herausgearbeitet. In der populären Wahrnehmung wird er jedoch überwiegend als Volksheld verehrt, der gegen Willkürherrschaft und Unrecht gekämpft hat, und dies wird auch als sein Vermächtnis verstanden.
Worin unterscheidet sich das Wirken ihrer literarischen Hauptfigur von dem historischen Pendant?
Ich habe mich generell sehr eng an die historischen Vorgaben gehalten und sehr lange dazu recherchiert. Da ich einige Forschungen im Nordosten Brasiliens durchgeführt und auch als Gastprofessor an der Bundesuniversität Pernambuco unterrichtet habe, konnte ich einige Originalschauplätze besuchen und umfangreiches Material zusammentragen. Zudem habe ich auch wissenschaftlich zum Thema Cangaço und Sozialbanditentum gearbeitet. Für den Roman musste ich natürlich eine Dramaturgie entwickeln und sie durch fiktive Erzählstränge ergänzen, aber das mindert keineswegs die Authentizität der Geschichte.
Was hätte Sie als Verfasser dieses historischen Romans an einer Zeitreise ins Brasilien um 1900 interessiert?
Eine solche Zeitreise hätte ich gern unternommen. Mich interessiert hier vor allem, wie die Menschen gelebt haben, wie sie ihren Alltag bewältigt haben. Immer, wenn ich historische Stätten besuche, setze ich mich hin und stelle mir den Alltag der Menschen vor, seien es die Griechen, Römer oder eben brasilianische Kleinbauern im Nordosten Brasiliens. Ich bin schon als Student in den Sertão gereist, der wunderschön sein kann, aber den Menschen, die dort leben, ungeheuer viel abverlangt.
Womit begründen Sie ein heutiges Interesse unserer europäischen Gesellschaft an diesem Aspekt der brasilianischen Geschichte?
Es gibt in der Geschichte Brasiliens etliche historische Ereignisse, die das Land, seine Regionen und seine Menschen nachhaltig geprägt haben. Diese Ereignisse zu kennen und zu verstehen hilft dabei, das Land und seine Menschen mit ihrer Mentalität zu verstehen. Die Literatur ist für mich in diesem Sinne ein Vehikel, auf spannende und unterhaltsame Weise dem Leser Land, Menschen und Mentalität näherzubringen. Dazu muss man aber nicht unbedingt Brasilien-Fan sein. Die Geschichte des Lampião allein ist schon spannend genug, um sich anhand des Romans in diese Zeit entführen zu lassen.
Sie haben neben Ihrer Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Krisenintervention stets Romane geschrieben. War Ihnen Ihr Hauptberuf nie genug?
Mein Hauptberuf hat mich meistens sogar mehr beansprucht als es für meine Gesundheit gut war. Andererseits bin ich – ob ich wollte oder nicht – dadurch immer wieder auf Ereignisse oder Themen gestoßen, die mich gefesselt haben und die ich nicht kommentarlos an mir vorüberziehen lassen wollte. Daraus sind dann Geschichten entstanden, von denen ich glaube, dass sie es wert sind, erzählt zu werden. Die Recherchen dazu haben mich zudem auf andere Gedanken gebracht und meinen heißgelaufenen Organismus heruntergekühlt. Ich konnte in die Geschichten abtauchen und so den enormen Stress für eine Weile in den Hintergrund schieben.
Hat Lampião erwartet, dass man Zugeständnisse an ihn und die Kleinbauern macht oder dass er von einer Amnestie profitieren könnte?
Die Jagd auf Lampião – wie auf die Cangaceiros im Allgemeinen – war stets von rücksichtsloser Gewalt geprägt. Seine Jäger waren keineswegs zimperlich und haben es im Sertão, weit weg von den großen Städten, mit dem geschriebenen Gesetz nicht so genau genommen. Ihnen war ein toter Cangaceiro lieber als ein lebender. Schon nach einigen Jahren als Cangaceiro konnte Lampião daher nicht mehr mit Gnade rechnen, da er die Autoritäten zu sehr infrage gestellt und auch bloßgestellt hatte. Ich denke, er wusste sehr genau, was ihn erwartete. Der Druck auf ihn wurde immer stärker, aber er hat stets an die Richtigkeit seines Tuns geglaubt.
Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im März 2024.