Ihr Roman behandelt die Erlebnisse des jungen Häuptlingssohns Kierk, der in jungen Jahren „zwischen den Welten“ aufwächst und Position ergreifen muss.
Ja, zwischen den Welten sogar in mehrfacher Hinsicht. Kierk, ein junger Krieger aus dem steinzeitlichen Jäger- und Sammlervolk der Gojdo, wird in den Eroberungskrieg der ersten, nach Norddeutschland drängenden Bauern und Viehzüchter hineingezogen. Er muss lernen, ein Anführer zu sein und bewegt sich zwischen den Traditionslinien seines Volkes und denen der von Egrie angeführten Ackerbauern, die ihn nach seiner Flucht im eigenen Stamm aufnehmen. So muss sich Kierk zudem auch zwischen der Tochter des Feuerwächters seines Stammes und der Tochter des Ackerbaufürsten entscheiden. Er muss herausfinden, wem er vertraut und wie er zu den Neuerungen der Viehzucht und des Ackerbaus steht. Denn er wittert Kriegsluft, die bald auf ihn hineinbrechen wird. Er entwickelt sich zu einem Jäger neuer Errungenschaften wie das Getreide und das Brot.
Damit thematisieren Sie einen einschneidenden Gesellschaftswandel, der sich in prähistorischer Zeit ereignete und den Übergang zur Landwirtschaft bedeutete. Wie ausschlaggebend war dieses Thema bei Ihrer Ideenfindung?
Das ist richtig. Mit dem Einzug von Ackerbau und Viehzucht hat sich für die Menschheit alles geändert. Der Zeitpunkt des Übergangs von der Jäger-und-Sammler-Kultur zur Viehzüchter- und Ackerbaukultur ist historisch gesehen für Mitteleuropa entscheidend. Für mich war die Spannung, mit der ein derartiger Wandel stattfindet, die Motivation für diesen Roman. Letztendlich spielte auch bei diesem Übergang die Verbindung des Menschen zur Natur eine entscheidende Rolle.
Welche Position nimmt Ihr Protagonist Kierk dabei ein?
Kierk ist der unfreiwillige Grenzgänger. Aus seiner Perspektive, der eines mit der Natur im Einklang lebenden, nomadischen Jägers und Sammlers, können wir sozusagen als Außenstehende einen Blick auf die beginnende Zivilisation werfen. Kierk lernt die großen Errungenschaften der Ackerbauern und Viehzüchter kennen, aber auch die damit verbunden Nachteile, die bis heute wirken. Dazu zählen Entwaldung, menschengemachter Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Pandemien durch Krankheitsübertragung von Nutztieren, Hungersnöte durch Abhängigkeit von einseitigen Nahrungsquellen, nur um einige Stichworte zu nennen.
Die Passgenauigkeit des Plots mit dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand war Ihnen wichtig?
Ja, denn moderne Methoden der Genomanalyse ermöglichen gerade riesige Wissenssprünge in der Archäologie. Der Romantext beruht auf einer intensiven Recherche aktueller Erkenntnisse und wurde von einer anerkannten archäologischen Expertin der Zeitepoche, Dr. Johanna Ritter, vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, geprüft. Das Ergebnis ist die Geschichte eines „letzten Mohikaners“, die sich nicht auf dem nordamerikanischen Kontinent, sondern mit großen Parallelen in unserer Heimat abgespielt hat.
Bitte konkretisieren Sie diesen Aspekt etwas. Auf welche wissenschaftliche Frage beziehen Sie sich?
Lange blieb die Frage unbeantwortet: Wanderte vor 8.000 Jahren die Idee des Ackerbaus und der Viehzucht von Süden nach Mitteleuropa ein oder waren es Eroberer, die wie die europäischen Siedler den nordamerikanischen Kontinent mit Landwirtschaft und Siedlungsbau überformten und die ansässigen Ureinwohner durch Kriege, Krankheiten und Verrat dezimierten. Wir können uns diese Zeit in Europa vorstellen, wie sie J. F. Cooper in seinen Lederstrumpfgeschichten für den Osten der USA erzählerisch unvergesslich in die Erinnerung nachfolgender Generationen gebracht hat.
Denken Sie, dass es auch für Archäologinnen und Archäologen oder Expertinnen und Experten der Epoche einen Zugewinn bedeuten kann, den Roman zu lesen?
Der Roman ist zuerst als spannende Abenteuer- und Liebesgeschichte konzipiert. Aber es war mir sehr wichtig, dass die Schilderungen im Roman historisch authentisch sind. Dankenswerterweise hatte ich ja auch Hilfe von professioneller Seite. Konkrete Fund- oder Grabungsorte habe ich dabei aber bewusst nicht zu Handlungsorten im Roman gemacht. Die Siedlungen im Roman liegen an erfundenen Orten, aber im bekannten Siedlungsgebiet der Bauern der Linearbandkultur. Eine höhere Besiedlungsdichte der Küsten durch mesolithische Gruppen wird zudem wegen der Nahrungsquellen Meer und großen Flüssen angenommen. Damit hoffe ich, dass der Roman, auch für Expertinnen und Experten der Epoche mit Freude gelesen werden kann.
Welche Rolle sehen Sie in sich selbst als Romanautor?
Ein Roman bietet die Chance einer anderen Perspektive auf die Dinge. Als Romanautor fragt man nicht prioritär nach Sinn und Zweck, sondern man will seinen Charakteren Leben einhauchen. Wie kann jemand bei den frühen Ackerbauern seinen Mut beweisen? Einem Volk, das über Jahrhunderte nicht kriegerisch war und bei dem die Jagd auch nicht im Mittelpunkt stand? Schwups, da werden die Bauern im Roman zu fanatischen Ringern und die kreisrunden Palisadenbauwerke der Bandkeramiker, deren Zweck nicht vollständig geklärt ist, zur Stierkampfarena – wofür sie auch sonst noch gut waren. Jetzt gibt es einen Ort, an dem die jungen Menschen im Kampf um das andere Geschlecht ihren Mut beweisen können.
Hat das plötzliche Verschwinden der Ubarutu und letzten Endes auch der Rungi in Ihrem Roman eine Erklärung?
Die Genomanalyse wird in den nächsten Jahren helfen, zu verstehen, wie die Verwandtschaftsverhältnisse unter unseren Urahnen ausgeprägt waren und was beim Aufeinandertreffen der Ackerbauern und der Urbevölkerung passierte. Es gibt Hinweise, dass sich Teile der Urbevölkerung lange als Jäger und Fischer mit einer eigenen Identität neben den sich ausdehnenden Ackerbauern und Viehhaltern halten konnten. Auch die Übernahme der bäuerlichen Lebensweise durch die Urbevölkerung ist nicht auszuschließen. Es besteht somit Hoffnung, dass Kierks Stamm der Gojdo einen Weg zum Überleben gefunden hat.
Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im September 2022